Schleswiger Stadtgeschichte

Gesellschaft für Schleswiger Stadtgeschichte e. V.
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Exkursion 2014
„Von Nolde, Nazis und Natur“

Die Gesellschaft für Schleswiger Stadtgeschichte e. V. lud am 13.09.2014 zu einer ganztägigen Exkursion zum Thema „Von Nolde, Nazis und Natur“ ein. Siegfried Lawrenz hat in seiner Funktion als Geschäftsführer unserer Gesellschaft das kulturelle Programm gestaltet, vor Ort sachkundige Führungen organisiert und auch für ein reichhaltiges kulinarisches Vergnügen gesorgt. Herzlichen Dank hierfür!

Ein Dreiklang aus dem Besuch Seebülls, Emil Noldes späterer Wirkstätte, der Besichtigung der Dauerausstellung in der KZ Gedenk- und Begegnungsstätte Ladelund und der Führung durch das Landschaftsmuseum Angeln in Unewatt spannte den inhaltlichen Bogen zu o. g. Thematik. Es wurde eine Übersicht zu Werk, Beziehungen und auch zur Haltung zum Nationalsozialismus Emil Noldes gegeben.
Die Teilnehmenden erschienen zahlreich und füllten fast einen großen Bus der Firma Matthiesen. Abfahrt war um 8:30 Uhr bei bestem Wetter vom Parkplatz am Gottorfdamm. Die Sonne löste den Hochnebel auf und ließ bereits prächtige Blicke auf die Schlei zu. Wir hatten auch insofern großes Glück für die Exkursion und die Begehungen.

Die diesjährige Ausstellung der Nolde Stiftung Seebüll „Emil Nolde – Die absolute Ursprünglichkeit“ konnten die Teilnehmenden in zwei sehr fachkundig geführten Gruppen erleben. Hintergründe und Verbindungen zu Noldes Leben wurden einfühlsam und kenntnisreich in einen großen Zusammenhang gestellt. Mit den Erklärungen während der Begehung des Gartens und der Warft war es leicht verständlich, die Naturverbundenheit der Noldes nachzuempfinden.

Emil und Ada Nolde haben mit dem Bau ihres Hauses in Seebüll auf einer alten Warft ein einmaliges Anwesen im Bauhausstil der 1920er Jahre geschaffen, das vom Maler selbst entworfen wurde und von 1927 im Alter von 60 Jahren bis zu seinem Tod 1956 bewohnt wurde. Ein Blick durch die Fenster des Erdgeschosses gewährte den Exkursionsteilnehmenden Eindrücke von den schlicht ausgestatteten privaten Wohnräumen des Paares.

Der von dem Ehepaar angelegte, auch heute noch üppige Blumengarten inspirierte den Künstler zu zahlreichen farbenprächtigen Werken mit Blumenmotiven, von denen wir einige in der Ausstellung betrachten konnten. Seine Arbeitsweise und die dadurch entstandenen künstlerischen Effekte – wie beispielsweise die Nutzung von 1,1 Meter langen Pinseln und die aus näherer Betrachtung eher unscharfen Konturen des Dargestellten – wurden detailliert erläutert.

Blumen waren für Emil Nolde ein Hauptmotiv seiner Werke. Er malte gleichfalls das Meer, die Landschaften seiner Heimaten an der Westküste und der Ostseeinsel Alsen. Auch kulturelle und der Natur entfremdete Darstellungen aus dem Berliner Nachtleben zeichnete er in ihrer Ursprünglichkeit. Ihn selbst überwältigende Eindrücke seiner Südseereise hat er in lebendigen Situationen in den wesentlichen Zügen aquarelliert und so in der gebotenen Kürze der Zeit in ihrer Komplexität festgehalten. In der diesjährigen Ausstellung werden all diese Facetten seines Werkes gezeigt. Im von Nolde selbst eingerichteten Bildersaal wurden großformatige Ölgemälde gezeigt, deren Ausstellung jährlich wechselt. Die Kabinette sind thematisch und künstlerisch stilistisch geordnet: „Stillleben mit exotischen Figuren“, „100 Jahre Südseereise“, „Nordfriesische Landschaften“, die „Ungemalten Bilder“, „Blumen und Meere“. Im Durchgang ist eine Portraitfolge seiner zweiten Frau Jolanthe ausgestellt. Im Atelier des Künstlers werden religiöse Bilder gezeigt.

Die sogenannten „Ungemalten Bilder“ weisen auf eine für Emil Nolde wohl für sein künstlerisches Schaffen äußerst schwere Zeit hin. Sie entstanden 1941 heimlich in einer enormen thematischen Vielfalt während seines Malverbotes und Ausschlusses aus der „Reichskunstkammer“. Emil Nolde war seit 1934 Mitglied der NSDAP, hielt aber auch guten Kontakt zu jüdischen Freunden. Seine Haltung gegenüber nationalsozialistischem Gedankengut wird kontrovers diskutiert und aktuell erforscht.

Das Zusammenspiel und die Kraft der Farben in Noldes Werk, im Garten von Ada und Emil Nolde sowie an Himmel und Horizont der rauen Landschaft, in der Seebüll liegt, haben wohl alle Exkursionsteilnehmenden tief beeindruckt.

[image:image-2]Für das leibliche Wohl war reichlich gesorgt. Nach dem Besuch der Nolde Stiftung Seebüll stand die gemeinsame Mittagspause im Kirchspielkrug Ladelund nach kurzer Fahrt auf dem Programm. Ein reichhaltiges Menü wurde gereicht. Diese Gelegenheit wurde genutzt, sich über Eindrücke der Exkursion und auch über Persönliches und anderes auszutauschen und etwas auszuruhen, um für den Nachmittag erfrischt zu sein.

Der Besuch der KZ Gedenk- und Begegnungsstätte Ladelund griff das nationalsozialistische Wirken in seiner gesamten Grausamkeit auch in der abgelegenen dänisch-deutschen Grenzregion thematisch wieder auf. Die Dauerausstellung zeigte, welche Folgen die Machtübernahme der NSDAP bereits ab Januar 1933 auf die Gemeinde Ladelund und ihre Bewohner hatte. 1938 wurde ein Lager des „Reichsarbeitsdienstes“ in Ladelund errichtet. 200 Arbeiter rückten in das neugeschaffene Barackenlager ein. Befestigungen von Straße, Entwässerungsmaßnahmen, Ödlandkultivierung und Aufforstungen wurden ihnen im paramilitärischen Drill abverlangt. Diese Bau- und Kulturmaßnahmen selbst wurden von der Bevölkerung sehr begrüßt. Die Zustimmung begründete sich in der Abgelegenheit Ladelunds und der damit verbundenen geringen Beachtung und wirtschaftlich schwierigen Lage der Gemeinde und ihres Umlandes.
Ab 1944 wurde in den Baracken ein drittes Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme (bei Hamburg) in der Nähe des geplanten Friesenwalls eingerichtet. Hitler hatte am 28. August 1944 den Bau des „Friesenwalls“ und der sogenannten Riegelstellungen befohlen. Der Friesenwall sollte die ost- und nordfriesische Küste vor einer Invasion der Alliierten schützen, dies, obwohl die durch das vorgelagerte Wattenmeer gegebenen Verhältnisse eine Anlandung sehr schwierig und damit höchst unwahrscheinlich machten. Dennoch gruben bis Anfang 1945 die militärische Organisation Todt, Parteiformationen, freiwillige Helfer, zwangsverpflichtete Bevölkerung, Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge überall in Schleswig-Holstein sinnlose Panzergräben und Geschützstellungen. Die Gräben waren etwa vier bis fünf Meter breit und etwa drei Meter tief.

Das Lager erhielt im Oktober 1944 einen Stacheldrahtzaun und vier Wachtürme. Weitere Vorkehrungen wurden kaum getroffen. Sanitäre Einrichtungen, Küche und Schlafgelegenheiten waren auf maximal 250 Personen ausgelegt. Am 01. und 02. November 1944 trafen jedoch rund 2000 Häftlinge aus dem Lager Husum-Schwesing und aus dem KZ Neuengamme mit Viehwaggons der Reichsbahn auf dem Bahnhof Achtrup ein. Die Häftlinge stammten aus ganz Europa, viele von ihnen waren Widerstandskämpfer aus den Niederlanden. Unter ihnen waren viele Männer aus Putten, einem Dorf, das am 02. Oktober 1944 von der Wehrmacht zerstört wurde.
Im Verlauf von nur sechs Wochen stieg die Zahl der Häftlinge auf ungefähr das Zehnfache der vorhandenen Haftplätze an. Die Häftlinge kamen zum großen Teil bereits geschwächt und unterernährt in Ladelund an. Sie arbeiteten täglich elf Stunden unter schwierigsten Bedingungen in der Feldmark und waren Misshandlungen und brutalen Schlägen des Wachpersonals ausgesetzt. Oft überlebten die Gequälten die Schläge mit dem Gummiknüppel, den Stöcken und sandgefüllten Schläuchen nicht. Unterernährung, Seuchen und Schläge waren die häufigsten Todesursachen.

Lagerkommandant von Husum-Schwesing und später auch von Ladelund war Hans Griem. Er lebte bis zu seinem Tode 1971 unbehelligt in Hamburg. Er musste sich für die zahlreichen von ihm begangenen Morde nicht vor Gericht verantworten. Seine Taten blieben ungesühnt.

Im Ruheraum der Gedenkstätte, einem stillen Ort der Einkehr und Besinnung, haben Besuchende unter dem Banner mit dem Text Dietrich Bonhoeffers
„Es liegt im Stillsein eine wunderbare Macht der Klärung, der Reinigung, der Sammlung auf das Wesentliche.“
ihre Eindrücke wie folgt geschildert:

„Als ich diese Gedenkstätte eindringlich gesehen habe, stellte ich mir unwillkürlich die Frage: Wie können Menschen so manipuliert werden, sei es durch dumpfe Ideologien oder einseitig ausgelegte Religionen, derartige Verbrechen in Wahrnehmung vermeintlichen Rechts auszuführen. Dies ist in Teilen der heutigen Welt noch immer so. Es gibt eigentlich nur eine Antwort und die heißt Bildung und Erziehung nach moralisch-ethischen Grundsätzen einer demokratischen Gesellschaft. Dies ist die wichtigste Aufgabe heutiger und künftiger Generationen. Nur so lassen sich künftige Kriege, die allesamt von Menschen verursacht werden, vermeiden.“

(Zitat Besucher aus dem Gästebuch)

Der Besuch in der KZ Gedenk- und Begegnungsstätte ließ stille und nachdenkliche, teilweise betroffene Mitglieder der Gesellschaft für Schleswiger Stadtgeschichte zurück. Er zeigte allen, wie wichtig es ist, nicht zu vergessen und die Erinnerung an diese schreckliche Zeit und den Weg dorthin wach zu halten, um spätere Generationen vor solchem Tun zu bewahren.

Ab 15:00 Uhr ging die Fahrt durch den Landesteil Schleswig mit dem Bus weiter vorbei an Flensburg zum Landschaftsmuseum Angeln in Unewatt. Während der Fahrt machte unser Ehrenmitglied Reimer Pohl kenntnisreich Ausführungen zum Beziehungsgeflecht zwischen Emil Nolde und der Familie Erdmann aus Langballigau nahe Unewatt.

Während der reich gedeckten Kaffeetafel im Gasthaus „Landhaus Unewatt“ berichtete Reimer Pohl dann Näheres über das Verhältnis Emil Noldes zur Familie des mit Emil Nolde befreundeten Komponisten Eduard Erdmann aus Langballigau/Unewatt und deren Tochter Jolanthe und bot uns damit auch einen kleinen Einblick in die gesellschaftlichen Verhältnisse im ausgehenden 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Nolde und die über fünfzig Jahre jüngere Jolanthe entdecken bei einem Besuch des Hauses Redlefsen in Satrup ihre Zuneigung zueinander. Unter „einem Dach“ zu wohnen war in der damaligen Zeit im gesellschaftlichen Umfeld Noldes und Erdmanns, anders als heute, nur für Verheiratete schicklich. So heirateten beide im Jahr 1948, gegen die Bedenken von Jolanthes Eltern. Jolanthe Nolde lebte bis zum Tod Emils im Jahre 1956 gemeinsam mit ihm auf Seebüll. Die gesellschaftliche Stellung Jolanthes als deutlich jüngerer, zweiter Lebenspartnerin rückt im Vergleich zur Ehe Emil Noldes mit Ada deutlich in den Hintergrund, was auch darin begründet sein mag, dass Nolde dem nur wenig Bedeutung zugemessen hat.

Nach der Kaffeetafel führte uns Frau Precht vom Landschaftsmuseum Angeln/Unewatt in lebendiger Art fachkundig auf einem interessanten Rundgang durch das Museumsdorf und seine historischen Gebäude.

Zunächst ging es zur Buttermühle des damaligen Landwirtes Las Christesen, der sich mit dieser Einrichtung neben den klassischen einen zusätzlichen, wirtschaftlich erfolgreichen neuen Betriebszweig sowie einen neuen Markt erschloss. Die hier erhaltenen Produktionsgeräte konnten besichtigt werden und wurden erläutert. Als funktionsfähige Anlage veranschaulicht die Buttermühle die ehemalige Nutzung einer kleinen Au für meierei- und landwirtschaftliche Arbeiten. Das im Mühlenteich aufgestaute Wasser treibt ein Wasserrad an, das zur Verarbeitung des abgeschöpften Milchrahmes im Inneren des Meiereigebäudes ein Drehbutterfass bewegt.


Weiter führte uns der Weg zur Christesen-Scheune, einem weiteren historischen Gebäude des alten Dorfes Unewatt. Diese Drempelscheune wird seit 1993 als Ausstellungshalle genutzt. Sie gehörte zu einer Vierseithofanlage aus dem Jahre 1895. Das ehemals als Kuh- und Schweinestall sowie als Scheune genutzte Wirtschaftsgebäude beherbergt eine Sammlung von historischen Landmaschinen und -geräten. Enthalten ist auch eine schöne Ausstellung von detailgetreuen Gemälden Angeliter Bauernhäuser eines autodidaktischen Malers aus der Region.

Am Schluss des Rundganges durch Unewatt stand die Besichtigung des Empfangsgebäudes des Landschaftsmuseums, des Marxenhofes aus Süderbrarup. Sein Wiederaufbau in Unewatt stand am Beginn der Entwicklung des Landschaftsmuseums als Regionalmuseum des Kreises Schleswig-Flensburg.

Das umfangreiche Ausstellungsprogramm des Landschaftsmuseums lohnt einen weiteren Besuch, der mit Spaziergängen in der schönen angliter Landschaft, der Besichtigung weiterer vorhandener historischer Gebäude und einer Einkehr im „Landhaus Unewatt“ ohne weiteres einen ganzen Tag ausfüllen kann. Auch eine Wanderung durch das Tal der Langballigau hinunter zur Flensburger Förde ist durchaus empfehlenswert.

Das Thema der diesjährigen Exkursion „Von Nolde, Nazis und Natur“ schaffte einen breiten historischen Gesamteindruck im Spannungsbogen des sozialen Wandels und der politischen Entwicklung des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts insbesondere im Landesteil Schleswig. Aspekte dörflichen Lebens wurden in den großen politischen Rahmen dieser Zeit eingeordnet.
Neben der Information über diese hochinteressanten Themen der Exkursion bot der gemeinsame Tag Raum für Begegnungen der Mitglieder der Gesellschaft untereinander, Gelegenheit und Anlass, sich mit alten Bekannten auszutauschen und neue Bekanntschaften zu schließen – ein nicht zu unterschätzender, großer Wert solcher Veranstaltungen.

Es bleibt, Siegfried Lawrenz Dank zu sagen für die hervorragende Vorbereitung und Ausrichtung dieser eindrucksvollen Exkursion. Der Gesellschaft für Schleswiger Stadtgeschichte gebührt unser aller Dank dafür, dass sie seit weit über einem halben Jahrhundert immer wieder den Rahmen für interessante Veranstaltungen dieser Art bietet und darin nicht nachlässt. Es ist an uns Mitgliedern, dieses Vereinsleben wach zu halten, in die Zukunft zu transportieren und an die nächste Generation weiterzugeben.

Carmen und Eckhard Cordsen, Langwedel

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