Karl Rathjen - Schleswiger Stadtgeschichte

Gesellschaft für Schleswiger Stadtgeschichte e. V.
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Karl Rathjen

Vorbemerkung:

Der bekannte Schleswiger Sammler und Stadtchronist Karl Rathjen, geb. 1930, legte der Gesellschaft für Schleswiger Stadtgeschichte seine Erinnerungen an die Kinderlandverschickung 1943 vor. Das Besondere daran ist, dass es sich nicht um eine (späte) Erinnerung handelt, sondern um die Tagebuch-artigen Aufzeichnungen des 13-Jährigen. Sie sind damit eine ausgemachte Rarität von hoher Authentizität. Wo sie verklärt sind, geschah dies aus unmittelbarem Erleben und nicht aus einer verklärenden Erinnerung. Bei der Lektüre möge der Leser das jugendliche Alter des Autors bedenken. Doch gerade diese stilistischen Schwächen erhöhen ebenso wie zeitgeistigen Einflüsse den dokumentarischen Wert dieser Aufzeichnungen. Ungewöhnlich ist auch das reiche Bildmaterial, dessen zeitbedingt bisweilen mäßige Qualität den Aussagewert nicht mindert. Dass dies auch eine starke gemeinschaftsbildende Maßnahme war, belegt das Treffen von Teilnehmern anlässlich des 50-jährigen Jubiläums (Abb. 1). Um dieser allgemein gültigen Werte willen hat der Redaktionsausschuss der Gesellschaft für Schleswiger Stadtgeschichte eine Veröffentlichung im Internet beschlossen, auf eine Printversion wegen des geringen stadtgeschichtlichen Bezuges jedoch verzichtet. Wir danken Herrn Karl Rathjen ausdrücklich für seine Zustimmung zu diesem Vorgehen.

Prof. Dr. Rainer Winkler
Redaktionsleiter


Die Kinderlandverschickung! (KLV) 1943

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Karl Rathjen

Am 31. Mai 1943 fuhren 80 Schülerinnen der Lornsenschule und 80 Schüler der Domschule im Alter von 10 bis 14 Jahren im Rahmen der Kinderlandverschickung nach Hollenstein a. d. Ybbs im heutigen österreichischen Bundesland Niederösterreich, ca. 120 km südwestlich von Wien. Kinder aus kriegsgefährdeten Gebieten wurden damals in ruhigere Länder geschickt. Organisiert wurde die Aktion von der Reichsjugendführung in Berlin.
Die Schleswiger Gruppe wurde geleitet von Oberstudienrat Dr. Erich Pohl, begleitet und unterstützt von drei Studienrätinnen der Lornsenschule, Frau Dr. Horn, FrauSchardey und Frau Meißner und einer jungen Turn-, Sport- und Gymnastiklehrerin, Frau Ruth Böge.
Einer dieser Schüler der Domschule, damals 12 Jahre alt, war ich. Mein Vater hatte mir damals ein dickes “Tagebuch” geschenkt mit dem Hinweis “damit er hierin alle wichtigen Begebenheiten seines Lebens aufzeichnet”.
So habe ich damals damit begonnen, meine Erlebnisse als Schüler der Domschule und Teilnehmer an der KLV in dieses Buch einzutragen.





Ich schrieb 1943:

“Eines Tages wurde in der Domschule zu Schleswig bekannt gemacht, daß sich Jungs im Alter von zehn bis vierzehn Jahren zur Kinderlandverschickung melden könnten. Auch ich erhielt die Erlaubnis mitzufahren. Nach vielen Verschiebungen des Abreisetages sollte es endlich am 31. Mai los gehen. Morgens um 9 Uhr waren alle Jungs auf dem Hauptbahnhof versammelt. Auch hatten sich zahlreiche Mädchen der Schleswiger Lornsenschule eingefunden. Wir sollten mit ihnen in einem Dorf untergebracht werden. Um 10 Uhr lief der Sonderzug von Flensburg ein. Alles drängte sich auf dem Bahnsteig. Sechs Jungs wurden immer in einem Abteil untergebracht. Wir machten es uns so bequem wie möglich. Endlich wurde das Abfahrtssignal gegeben, aber ich hatte noch immer nicht meinen Koffer. Der Zug hatte sich schon in Bewegung gesetzt als meine Mutter mir noch den Koffer ins Abteil reichte. Nochmal ein kurzes Abschied nehmen und bald war Schleswig außer Sicht. Die bekannte Strecke bis nach Neumünster verlief schnell. Aber die Holsteinische Seenplatte war mir neu. Rechts und links standen die Bäume dicht an den spiegelglatten Seen. In Lübeck stieg noch ein weiteres Lager in den Zug ein. Weiter ging die Reise über Wittenberge. Hier erhielten wir gegen Mittag unser erstes Essen. Nach einstündigem Aufenthalt brachte uns der Zug über Magdeburg, Halle nach Leipzig. In Leipzig liefen wir des Nachts ein. Wir fuhren durch ein unendliches Meer von Lampen und Lichtern. Unsere Dampflokomotive wurde hier mit einer elektrischen vertauscht. Dann ging es in rasender Geschwindigkeit weiter über Plauen, Regensburg, Passau, Linz nach Amstettten, der Hauptstadt Niederdonaus. Seit Plauen begleiten uns die ersten Berge, Viele Male unterwegs erhielten wir noch warme und kalte Verpflegung. Es schmeckte ausgezeichnet. Während unserer Nachtfahrt von Magdeburg bis Weiden hatten wir mit unseren Koffern die Plätze zwischen den Bänken ausgefüllt. So konnten wir ganz gut schlafen. In Amstetten verließen wir von der Domschule und der Lornsenschule den Zug. Nach drei Stunden Aufenthalt fuhren wir in einem planmäßigen Zuge, an dem noch zwei Wagen angehängt waren, unserem neuen Heimatort entgegen. Die Lokomotive pustete und fauchte, denn es ging immer bergan. In Waidhofen stiegen wir wieder aus. Unser Zug aber fuhrt weiter zum Ennstal. Hier in Waidhofen mussten wir abermals vier Stunden auf die Schmalspurbahn warten. Diese sollte uns nämlich nach Hollenstein, unserem neuen Lager, bringen. Wir wollten uns gerade alle die Stadt ansehen, aber es fing leider an zu regnen. So mußten alle Kinder im Bahnhof verweilen. Gegen neun Uhr abends des zweiten Reisetages brachte uns eine kleine Lokomotive mit ebenso kleinen Wagen in zweistündiger Fahrt nach Hollenstein. Alle bedauerten sehr, dass wir die Reise von Waidhofen bis Hollenstein im Dunkel machen mußten, denn wir konnten ja nichts von der neuen Gegend, die für sechs Monate unsere Heimat sein sollte, sehen. Abends um elf Uhr kamen wir bei strömenden Regen an unserem Ziele an. Unterwegs waren wir schon in zwei Lagergruppen eingeteilt worden, ebenso die Mädchen. Ich sollte in das Lager ‘Schöllnhammer’, das nach seinem Besitzer den Namen erhalten hatte. Herr Schöllnhammer holte uns mit einem Ochsenkarren vom Bahnhof ab. Unser Gepäck wurde darauf verstaut und müde gingen wir hinter dem Wagen her. Neben dem Weg hörten wir das Wasser eines Flusses rauschen. Es war so dunkel, daß ich nichts von unserer Umgebung sah. Hätte ich nicht den Wagen angefaßt, wäre ich wohl überall gegengerannt. Bald hielten wir vor dem hellerleuchteten Gasthause. Unser Gepäck wurde von hilfsbereiten Händen ins Haus getragen. Wir Jungs schlichen müde in den Speisesaal. Wir erhielten ein warmes Essen, Milch und einige Apfelsinen. Unsere Lagermannschaft bestand aus 35 Mann. Diese wurden von einem Lagermannschaftsführer befehligt. Alle Jungs wurden im Speisesaal schon in sechs Stubengruppen eingeteilt. Jede Stube wurde von einem Stubenführer geführt. Ich gehörte zur Stube neun. Nach dem Essen mußten sich die Stubengruppen sammeln. Dann wurden wir in den Raum neun geführt. Müde schmissen wir uns in irgendein Bett. Mit den besten Hoffnungen auf gutes Wetter schliefen wir ein.

Am nächsten Morgen erwachten wir bei herrlichem blauem Himmel. Unser erster Blick war einer zum Fenster hinaus. Ein herrlicher, blauer Himmel begrüßte uns. Unser Dorf war rundherum von Bergen umgeben. Schnee lag noch auf ihren Gipfeln. Am Nachmittag sahen wir uns das Dorf an. Eine kleine Kirche stand auf einem kleinen Hügel über dem Dorf. Dicht an unserem Lager vorbei floß die Ybbs. Auch ein kleiner Nebenfluß mündete dicht bei unserem Lager in die Ybbs. Es war der Hammerbach. Viele alte Mühlen lagen daran. Das Dorf war sehr langgezogen und hatte ungefähr 1000 Einwohner, von denen die meisten Holzfäller waren. Mitten im Dorf war der Dorfplatz. Dieser war dicht mit Gasthäusern und Lebensmittelgeschäften umgeben. Das Dorf lag auf dem linken Ufer des Flusses. Nur der Bahnhof lag rechts. Er war durch eine Brücke mit dem Dorf verbunden. Stets haben wir uns mit den Bewohnern vertragen und gut mit ihnen gelebt.

Die andere Hälfte der Jungen war in einem Schloß am Bahnhof untergebracht. Ein großer Park umgab das Lager. Die Mädchen der Lornsenschule hatten sich auch geteilt. Die eine Hälfte war auch in einem Gasthaus draußen vor dem Dorf. Der Rest wohnte in einer Villa eines Gutsbesitzers.

Viel haben wir mit den anderen Lagern zusammen erlebt. So auch unseren

Lagerabend

[image:image-6]Nachdem wir uns eingelebt hatten, beschloß unsere Lagerleiterin, Frl. Böge, einen bunten Lagerabend für alle in Hollenstein weilenden Lager zu veranstalten. Jede Stube mußte etwas darbieten. Nach viel Übung sollte der Abend endlich am 13. Juni beginnen. Wir mieteten uns den Saal eines Gasthauses und am Nachmittag schmückten wir ihn festlich. Wir richteten darauf eine Bühne her. Die drei K.L.V-Lager wurden eingeladen und auch einige uns schon bekannte Leute des Dorfes. Um 19 Uhr begann die Vorstellung. Unsere Lagerleiterin leitete den Abend. Das Programm begann mit dem Liede ‘Wo de Nordseewellen....’. Frl. Böge hielt dann einen kurzen Vortrag über die Aufgaben der K.L.V.. Dann führte die Stube 7, genannt ‘Winnetou’, ‘auf der schwäb’schen Eisenbahne’ auf. Sie zogen mit den Händen auf dem Rücken des Vordermannes im Kreise auf der Bühne hin und her und sangen dabei das Lied. Auch ein Schlangenbeschwörer trat auf. Die Schlange wollte nicht aus dem Korb heraus, aber dafür schickte sie drei große Kamele. Es folgten noch einige lustige Kurzstücke, Scharaden und Gesänge. Zuletzt spielte fast das ganze Lager ‘Des Kaisers neue Kleider’, ein kleines Märchenspiel. Es glückte uns alles tadellos, und wir ernteten viel Beifall. Um 9 Uhr gingen alle müde und froh wieder nach Hause. Als Lohn für unsere Mühe erhielten wir als Überraschung von der Herbergsmutter noch jeder einen kleinen Pudding.

Zahlreiche Fahrten in die Umgebung unseres Aufenthaltes haben wir unternommen, auch eine etwas größere

Fahrt nach Lunz a/See

Es war schon die ganze Woche gutes Wetter gewesen, und wir hatten noch nichts weiter unternommen. Da beschlossen wir, wenn gutes Wetter wäre, nach Lunz a/See zu fahren. Mit dem Wunsch ‘Morgen gutes Wetter’ gingen wir ins Bett. Am nächsten Morgen war unser erster Blick aus dem Fenster: Hurra! Es war gutes Wetter. Da erscholl auch schon der Ruf der Lagerleiterin: ‘Alles Aufstehen! In einer Stunde fahren wir mit dem Zug nach Lunz!’. An diesem Morgen ging alles noch mal so schnell wie sonst. Im Nebel marschierten wir mit einem Lied auf den Lippen zum Bahnhof, und der Zug fuhr endlich los. Aber oh weh! Als der Nebel sich lichtete sahen wir in der Ferne drohende Gewitterwolken. Nach einer Stunde waren wir in Lunz und gingen gleich weiter zum See. Als wir ungefähr die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, überraschte uns der Regen. 100 Meter weiter lag ein Haus, wohin wir im Dauerlauf liefen und wo wir bis zum Ende des Regens warteten. Zum Glück erhellte sich der Horizont bald wieder, und wir setzten unseren Marsch fort. Endlich lag der See, von hohen Bergen umgeben, vor uns. Am Ufer desselben lag ein Hotel, das auch Ruderboote vermietete. Es waren leider nur noch große Boote da, denn die kleineren schwammen schon auf dem See. So wurden drei Boote mit je 14 Mann beladen. Zwei Stunden konnten wir rudern. Da die Boote alle gleichstark besetzt waren, veranstalteten wir einige Wettfahrten, in denen die Boote immer abwechseln siegten. Nachdem die Boote wieder abgegeben waren, suchten wir uns einen schönen Rastplatz am Ufer des Sees. Erst badeten wir noch einmal in dem herrlich klaren Wasser. Dann aßen wir unser Mittag, das uns hier im Freien auch prima schmeckte. Gegen 3 Uhr gingen wir ins Dorf zurück. Dort hatten wir noch 1 ½ Stunden Freizeit. Ich trieb mich mit einigen Kameraden im Dorf und kaufte mir Ansichtskarten. Um 5,30 brachte uns der Zug wieder nach Hollenstein. Wir hatten doch noch schönes Wetter gehabt.

Einige Fahrten unternahmen wir auch nach Waidhofen. Die größere will ich einmal schildern.

Eine Fahrt nach Waidhofen

An einem schönen Tage fuhren wir Mittags mit dem Ybbstalexpress nach Waidhofen. Die Stadt ist im 12. Jahrhundert erbaut und liegt auch an der Ybbs. Sie hat heute etwa 5000 Einwohner. Ein paar Mal überquerten wir die Ybbs oder fuhren hart an ihren Ufern, so daß wir das grüne klare Wasser unter uns sahen. Plötzlich verschwand unser Zug in einem Tunnel, der aber leider ziemlich kurz war, denn viele von uns wären gerne einmal durch einen langen, dunklen Tunnel gefahren. Auf einem Damm durchquerten wir die Stadt so daß wir vom Zuge aus eine herrlicher Aussicht auf die Stadt hatten. Herr Schöllnhammer hatte uns von einem Eissalon erzählt, in dem es noch gutes und billiges Eis geben sollte. Nach einstündigem Herumirren in der Stadt fanden wir das Haus endlich. Wir aßen einmal ordentlich Eis, und weil es so gut schmeckte, wurde immer wieder naschbestellt. Wir hatten gehört, dass es in Waidhofen ein herrliches Bad geben sollte. Dieses war unser nächstes Ziel. Es war ein großes Freilichtbad mit einem Basin und schönen Park mit Grotten, Planschbecken, Blumen und Sträuchern. Das Basin erhielt sein Wasser aus der Ybbs. Zufluß und Abfluß waren ständig in Betrieb. Jeder tummelte sich nach Herzenslust im Wasser. Oft sahen wir den Springern zu, wie sie ihre schneidigen Saltos und Kopfsprünge machten. Von 17,30 bis 19,30 hatten wir Freizeit. Ich sah mir mit einigen Kameraden die Stadt an. Vom Zug aus hatten wir eine alte Burg inmitten der Stadt gesehen. Das war nun unser Ziel. Es ist eine der ältesten Bauwerke Österreichs. In ihr waren schon oft die Bewohner vor feindlichen Angriffen geflüchtet. Nun war sie eine Kirche. Um 19,30 Uhr sammelten wir uns wieder auf dem Bahnhof. Wir hatten uns aber im Fahrplan versehen, unser Zug fuhr erst um neun Uhr. Wir zogen uns in schöne Anlagen zurück, und dort las Frl. Böge uns etwas aus einem Buche bis zur Abfahrt des Zuges vor. Um 11 Uhr erreichten wir wieder Hollenstein. Unterwegs fingen wir Glühwürmchen, die wir nachher in unserer Stube fliegen ließen. Auf der Fahrt war gutes Wetter.

Die Donaufahrt

Am 26.7.1943 trat unser Lager nach 14-tägigen Vorbereitungen die Donaufahrt an. Die 5-tägige Fahrt kostete jedem Teilnehmer nur 20 RM. Am Anfang war eine 10-tägige Fahrt über Wien, Pressburg nach Budapest geplant. Leider zerschlug sich dieser Plan, denn jeder wäre gerne einmal in der Slowakei und in Ungarn gewesen.

Schon morgens früh marschierten wir mit Gesang zum Bahnhof. Das Mädellager ‘Kärnbach’ hatte sich uns angeschlossen. ’Hollensteiner Hof’ und ’Schloß Gleiß’ waren schon 4 Wochen vorher auf der selben Fahrt gewesen und hatten uns viel über Wien und den Prater erzählt. Wir waren also wirklich auf die nächsten Tage gespannt. Mit unserer kleinen Schmalspurbahn fuhren wir bis Waidhofen. Mit der Reichsbahn ging es weiter bis zur Kreisstadt Amstetten. Wir gingen zum Postamt, wo zwei für uns bereitgestellte Omnibusse auf uns warteten. Diese brachten uns schnell nach dem Donauhafen Grain. Während dieser Fahrt ließen wir die letzten Ausläufer des Gebirges hinter uns und kamen schon an saftigen Wiesen der Donauniederung vorbei. Plötzlich lag das blaue Band der Donau vor uns. In der Ferne sahen wir dann auch bald die Türme der Stadt Grain, unser nächstes Reiseziel. Aber die Stadt lag am anderen Ufer. Kurz vor dem Ort stiegen wir aus und wurden mit einer Rollfähre ans andere Ufer übergesetzt. Nach einer viertel Stunde Marsch hatten wir Grain erreicht. In einer Stunde sollte erst der Dampfer abfahren, und so konnten wir uns noch die Stadt mit ihren alten, schönen Häusern ansehen. Die alten Stadtmauern und Burgruinen waren noch sehr gut erhalten. Gegen Mittag bestiegen wir den Raddampfer ‘Johann Strauß’ von der D.D.S.G. (Donau-Dampf-Schiffahrts-Gesellschaft). Es beträgt 600 t und faßt ungefähr 1100 Passagiere. Es hatten sich 14 Läger eingefunden mit zusammen 700 Mann, die alle bequem auf dem Schiff Platz fanden. Zu erst ging die Fahrt durch den Strudengau, wo unzählige Wirbel und Strudel schon vielen Ruderern und Seglern den Tod bereitet hatten. Zu beiden Seiten zogen sich die Weinberge mit den Weinterrassen hin. Zahlreiche Schleppkähne mit vier bis fünf Schuten kamen uns entgegen. Bald passierten wir die Stadt Ybbs, wo die Ybbs in die Donau mündet, die Stadt Melk mit ihrem berühmten Kloster und die wunderschöne Stadt Krems. Hier ist das Ende der berühmten Wachau. Auch an einigen sagenumwogten Ruinen kamen wir vorbei. Geisterhaft waren sie an die Bergwand geschmiedet. Weitenegg, Aggstein, Dürrenstein und Breitenstein waren die bedeutendsten. Gegen Abend beobachteten wir rechts und links die ersten Schrebergärten und Laubenkolonien. Dann kamen auch am rechten Ufer die ersten Häuser, die sich immer mehr verdichteten. Diese Stadt war Wien. Mehrere Brücken führten ans andere Ufer und rechts dehnte sich für Schleswiger Begriffe ein unendlicher Hafen aus. Bald darauf legten wir an einer freien Stelle am Kai an und marschierten nach einer in der Nähe gelegenen Mädchenschule, die für uns freigemacht und zum Schlafen hergerichtet war. Nachdem wir es uns eingerichtet hatten, legten wir uns in einem Klassenzimmer auf Strohsäcke zum Schlafen nieder.

Am nächsten Morgen, es war der 27.7., sahen wir uns die Stadt an. Jedes Lager erhielt einen Führer und konnte dann losziehen. Unser brachte uns zuerst nach der Ringstraße, wo die meisten herrlichen Bauten stehen. Eines der ersten Gebäude war das Sühnehaus, das aus Sühne für die Opfer einer Brandkatastrophe in einem Kino, das an dieser Stelle gestanden hat, errichtet worden ist. Es folgte die herrliche Votivkirche mit ihren weißen Dächern. In einem großen Park lag die Universität. Unser Führer brachte uns dann zum Wiener Rathaus. Gravitätisch bot es sich unseren Blicken dar. Vor dem Rathaus standen rechts und links Standbilder berühmter Wiener Männer des Staates, der Kunst und der Wissenschaft. Zuerst betraten wir neugierig das große Rathaus, doch unsere Neugierde verwandelte sich bald in Staunen, als wir die herrlichen Säle, den großen Festsaal, den Nibelungensaal, den Roten Saal und viele andere mehr sahen. Auch bewunderten wir die großen Feststiegen, die zu den berühmten Sälen führten. Dieses war leider das einzige Gebäude, das wir von innen besichtigen konnten. Wir folgten unserem Führer weiter zum Burgtheater, dem Parlament und der Neuen Hofburg. Mit ihm gingen wir um den großen Komplex der Wiener Staatsoper. Wir wanderten weiter durch die Straßen. Plötzlich sahen wir einen hohen Turm vor uns. Das ist der alte, ehrwürdige Stephansdom. 137m hoch ist er, und schon viele Kugeln der Türken und Franzosen versuchten ihn  zu zerstören. Aber der alte ‘Steffel’, wie der Wiener ihn kurz nennt, hat alles Gute und Schlechte gut überstanden, erklärte uns unser Führer.. Er berichtete uns leider, dass er heute nicht zu besteigen sei, aber er würde doch einmal fragen. Ausnahmsweise erhielten wir die Erlaubnis, und wie eine wilde Meute jagten wir den Turm hinauf. Bald wurden wir müde und es ging immer langsamer. Endlich, nach 343 Stufen, waren wir oben in der Türmerstube. Leider waren nur kleine Fenster angebracht, aber wir hatten trotzdem eine herrliche Aussicht auf Wien und Umgebung. Unter uns ein riesiges Häusermeer. In einem großen Waldgelände inmitten der Stadt sahen wir das Riesenrad im Prater, dem Vergnügungspark der Wienere Unser Führer, der langsam nachgeklettert war, zeigte uns das Schloß Belvedere. Im Osten erhoben sich der Leopoldsberg und der Kahlenberg. Nur allzu früh wurde es Mittag, und wir mussten den Turm verlassen. Wir durchwanderten noch einmal das Innere der Kirche, aber sie war dort nicht sehr besonders reizvoll. Alles lag voll Schmutz und Unrat, und in jeder Ecke saßen Bettler, die jeden Vorübergehenden anriefen. Wir wären gerne noch einmal in die Grabkammer gegangen, aber es war schon zu spät. Wir fuhren dann mit der U-Bahn nach dem Schloß Schönbrunn, wo ein kräftiges Mittagessen auf uns wartete. Mit einem Lied auf den Lippen marschierten wir durch das Eingangstor. Majestätisch und schön bot sich dieser prachtvolle Bau unseren Blicken dar. Immer mehr staunten wir, je weiter unsere Augen schauten. Das Schloß ist von einem großen Park umgeben, den wir uns nur zum Teil ansehen konnten. Wie Teppiche breiteten sich die Rasen mit den Blumenbeeten aus. Sauber waren die Wege und genau ausgerichtet waren die Bäume und Sträucher geschnitten. In diesem Park war alles, was ein Herz erfreuen könnte. Bäche und Auen durchzogen den Park und die Wälder. Mühlen summten ihr lustiges Lied. In einem Teil waren herrliche Grotten angelegt, und überall standen die Standbilder Maria Theresias und ihrer Nachkommen und berühmter Männer Wiens. Auf einem Hügel hinter dem Schloß erhebt sich die Gloriette. Von hier hat man eine gute Aussicht auf Wien. Im Vordergrund sieht man das Schloß Schönbrunn mit seinen Parks und dem Teich. In der Ferne erhebt sich Wien, wo sich der Stephansdom besonders aus dem Häusermeer der Stadt heraushebt. Dahinter liegen der bekannte Leopoldsberg und der Kahlenberg. Nur zu früh mußten wir weiter, wenn wir noch mehr sehen wollten. Neben dem Schloß ist ein großer Wagenschuppen, in dem der saubere und goldglänzende Krönungswagen Maria Theresias steht. Auch die schmucken Königs- und Prinzenwagen hat man dort hineingestellt und in Reih und Glied aufgefahren. Die Königin hat sich auch einen Tierpark angelegt, der noch heute besteht. Es waren ja fast alle Tiere der Welt da, aber sie taten mir besonders leid, weil sie keinen Auslauf hatten und nur in kleine Käfige gesperrt waren. Leider war es bald Abend, und wir fuhren mit der Straßenbahn zur Schule zurück. Nur allzu gern wäre ich am nächsten Tag wieder hingefahren, denn man konnte sich an all den Schönheiten nicht sattsehen.

Am Morgen des 28. konnte jedes Lager sich selbst in der Stadt beschäftigen. Wir fuhren mit der Straßenbahn zu dem größten Schwimmbad in Wien und nahmen dort ein erfrischendes Bad. Am meisten Spaß machte uns die große Rutschbahn. Gegenüber war ein Sprungturm mit Sprungbrettern in allen Höhen bis zu 10 m. Wir haben uns einmal ordentlich in dem klaren Wasser ausgetobt. Danach fuhren wir nach der Maria-Hilferstraße, der Hauptgeschäftsstraße in Wien. Für uns Schleswiger war das ein ganz ungewohntes Bild. Ungeheurer Verkehr herrschte in der Straße. Aber wir fanden uns bald darin zurecht. Hier hatte jeder Freizeit, um seine Einkäufe zu machen. Um 12 Uhr sammelten wir uns an einer bestimmten Stelle. Mit Gesang marschierten wir zum Prater, dem Vergnügungspark der Wiener. In einem Gasthaus erhielten wir gutes und reichliches Essen. Der K.L.V.-Beauftragte brachte uns für zahlreiche Karussells und Bahnen Freikarten. Wir fuhren gleich mit dem Riesenrad, um uns erst einmal einen Überblick über das Gelände zu verschaffen. Rund um uns war der riesige Prater, in dem sogar kleine Liliputeisenbahnen fuhren. Hoch erheben sich andere große Bahnen, die aber alle bei weitem von dem 90 m hohen Riesenrad überragt wurden. Die Gondeln des Rades waren so groß wie kleine Eisenbahnwagen mit Sesseln und Tischen. 20 Minuten dauerte eine Umdrehung, aber dafür hatte man auch oben eine herrliche Aussicht auf Wien und Umgebung. Während unseres weiteren Aufenthaltes im Prater waren wir auch im Geisterschloß. Mit blutgierigen Augen drohte ein Löwe sich auf uns zu stürzen. Ein Gespenst wollte uns fassen, aber mit einem Ruck war unser Wägelchen wieder im Freien, um, aber in einigen Augenblicken wieder mit uns im Dunkel zu verschwinden. Das blutbefleckte Antlitz eines Gehängten starrte uns hönisch an. Ein Totenkopf flog polternd zur Seite. An mehreren Gespenstern kamen wir noch vorüber bis wir wieder ins Freie gelangten. Im Prater da gibt’s aber noch mehr gruselige Sachen. Eines der schlimmsten ist auch das Piratenschiff. Als wir mit rasender Geschwindigkeit ins Schiffsinnere fuhren, ging es gleich los. An den Wänden leuchteten gespenstische Lichter auf. Plötzlich näherte sich uns brummend ein großer Bär. In einem Sarg lagen die Knochen eines Menschen. Bald verließen wir wieder das gruselige Schiff. Aber auch noch viele andere Bahnen gab es, so auch die Himalajabahn. Plötzlich fuhr man steil in die Höhe. Dann ging die Fahrt in rasender Geschwindigkeit gerade herab. Alle Finger umklammerten krampfhaft die Lehne und man hörte angstvolle Schreie. Viele andere Bahnen benutzten wir noch, z. B. die Hochschaubahn, bei der es auch oft steil in die Höhe ging, oder man fuhr an steilen Abschüssen oder hart am Wasser entlang, das einen um das kleine Wägelchen, in dem man saß, ordentlich bange wurde; ferner die Wasserfahrt, bei der man sich in kleine Boote setzte, die auf 1 m breiten Kanälen kreuz und quer getrieben wurden, weiter die Grottenbahn, die Fahrt ins Blaue, die Schlangenbahn, eine Autobahn und viele andere mehr. Alle Karten wurden restlos abgefahren. Aber es gibt im Wiener Prater nicht nur Bahnen, nein, auch zahlreiche Spiel- und Verlosungshallen konnten einen erfreuen. Wer Marken hatte, konnte sich heiße Würstchen und Brötchen kaufen. Auch für den Durst war gesorgt. Es gab Limonade und sogar noch Wein, der aber stark verdünnt war. Ich hatte noch das Pech, oder man kann es auch Glück nennen, daß ich unsere Gruppe verlor. Ich ging zum Sammelplatz und fand schon einen Jungen aus unserem Lager und ein Mädel aus Kärnbach vor. Wir drei haben uns auch alleine köstlich amüsiert. Gegen Abend fanden wir unsere Gruppe wieder, als sie gerade nach Karten bei dem Piratenschiff anstanden. Sie wollten schon das zweitemal darin fahren. Am Abend fuhren wir müde mit der Straßenbahn zurück. Auch an diesem Tage  haben wir viel gesehen.

Am anderen Morgen, den 29.7., wurden wir schon wieder um 5 Uhr geweckt. Nachdem wir aufgeräumt hatten, marschierten wir wieder zum Hafen, wo unser Dampfer schon wieder auf uns wartete. Wir ließen Wien hinter uns zurück. Aus der Ferne grüßte uns noch der ‘Steffel’. Bald hatten wir auch die letzten Laubenkolonien zurückgelassen, und immer weiter fuhren wir bis Spitz. Wir benötigten dazu den ganzen Tag bis abends 7 Uhr, weil es ja stromaufwärts ging. Bis um 8,30 Uhr hatten wir Freizeit in der Stadt. Hier sahen wir die uns unbekannten Marillen zum ersten Male. Als wir einige Bauern fragten, was das für Früchte seien, antworteten sie uns ‘Marillen’ und staunten, dass wie diese herrlichen Früchte nicht kannten. Gleich boten sie uns zahlreiche Marillen an. Nachdem wir uns bis 9,30 Uhr mit den Bewohnern unterhalten hatten und noch sehr viele Marillen, Äpfel und Birnen gegessen hatten, gingen wir aufs Schiff zurück und schliefen dort bis zum anderen Morgen. Die anderen Läger gingen an Land und übernachteten in Scheunen und Gasthäusern.
Wir hatten uns vorgenommen, die Ruine Aggstein zu besichtigen. Am anderen Morgen zogen wir um 8 Uhr auf einer schönen Straße unserem Ziel zu. Rechts floß die Donau und links standen an der Straße die Obstbäume. Das war für uns Norddeutsche etwas ganz Außergewöhnliches. So kamen wir zur romantischen, im 11. Jahrhundert erbauten Burg, Ruine Aggstein. Am Fuße des 55m hohen Hügels, auf dem die Ruine steht, machten wir eine kurze Rast und begann dann der Aufstieg. Ein breiter Waldweg führte uns zur Burg. Davor befinden sich die Vorwerke, die Kuh- und Pferdestallungen. Durch das erste Tor gelangten wir in den Vorhof. Gleich rechts war das Torwärterhaus und der Zwinger, in welchem die Hunde, die zur Jagd benutzt wurden, gefangen gehalten worden waren. Dann betraten wir durch ein weiteres Tor den zweiten Hof. Wir sahen ein 8m tiefes Verlies, in welchem die Gefangenen schmachten mußten. Hier war auch das Wappen des letzten gefürchteten Raubritters. Es geht weiter durch das dritte Tor, unter welchem sich ebenso wie unter dem 1. Tor Steinnischen zum Sitzen der Burgwache befanden. Wir befanden uns nunmehr im Großen Burghof oder Turnierhof. Wir sahen eine große Plakette, die von der Wienere Scheffelgemeinde gestiftet worden war. Die Ruine Aggstein war der Lieblingsaufenthalt des großen Dichters Scheffel. Mit einem Gitter war die 10m tiefe, aus dem Felsen herausgehauene Zisterne zum Sammeln des Regenwassers umgeben. Nunmehr gingen wir eine Treppe hinauf zum ‘Burgfried’, welcher früher die Wurfmaschine zur Verteidigung der Burg geborgen hat und jetzt eine herrliche Aussicht über die ganze Wachau und bis in die steirischen Alpen bietet. Nunmehr kehrten wir in den Burghof zurück. Eine Tür führte uns in den Brunnenturm mit einem 12m tiefen Brunnen. Hier befanden sich die Werkstätten der Handwerker und die Wohnräume der Ritter und Knappen, ebenso die Räume für das Gesinde. Eine Stiege führte uns in die Hochburg, genannt Palast, wo oberhalb der Treppe der Pecherker zu sehen ist, der zur letzten Verteidigung der Burg diente. In der Hochburg waren die Frauengemächer und die Wohnung des Burgherrn. Nebenan war die Burgkirche, in der vor 150 Jahren die letzte Messe gelesen wurde. Der Burgherr hatte sich in die Wand zur Kirche Löcher schlagen lassen, um so dem Gottesdienst beiwohnen zu können. In einer Ecke der Hochburg war das Fluchtloch. Es diente dem Burgherrn zur Ergreifung der Flucht, wenn die Burg eingenommen wurde. Hier war auch das sagenhafte Rosengärtlein auf einem ungefähr 200m hohen Felsvorsprung. Es blieb den Gefangenen einst die Wahl, sich hinunterzustürzen oder zu verhungern. Auch hier hatten wir eine herrliche Aussicht: Dann kehrten wir auf den Burghof zurück, wo wir uns das mitgebrachte Essen gut schmecken ließen. Ein Gasthaus sorgte für erfrischende Getränke. Gegen Abend wanderte wir zum Schiff zurück. Bis zum Schlafengehen hatten wir noch Freizeit, in der wir wieder tüchtig Obst und Marillen aßen. Die Nacht über schliefen wir wieder auf dem Schiff.

Als wir am nächsten Morgen erwachten, waren wir schon wieder auf der Weiterfahrt nach Grain. Gleich nach der Ankunft marschierten wir zur Rollfähre zurück. Am anderen Ufer standen unsere Omnibusse, die uns nach Amstetten zurückbrachten. Nach einer Stunde Freizeit, in der wir uns die nichtsbietende Stadt ansahen, fuhren wir nach Hollenstein zurück, das wir um 6 Uhr erreichten. Nach einem erfrischenden Bade in der Ybbs und einem kräftigen Abendbrot schmissen wir uns müde in unsere Betten. Auf der ganzen Donaufahrt war herrlicher Sonnenschein.

Die Berge in der Umgebung unseres Lagerdorfes Hollenstein waren vor unserer Begierde, etwas zu erleben, auch nicht sicher. Wir haben sie bestiegen und viel dabei gesehen.

Zur Kitzhütte

Herr Schöllnhammer erzählte uns, daß am Südhang des Königsberges eine wunderschöne Jägerhütte sei, von der man auch einen schönen Ausblick auf die Alpen hätte. Mittags um 12 Uhr brachen wir nach dieser Hütte auf. Da wir keinen Führer hatten, verfehlten wir den Weg. Aber glücklich kamen wir über Stock und Stein oben auf dem Berge an. Vor uns lag eine Alm, für uns etwas Neues, und so war es kein Wunder, dass wir uns mit den Bewohnern anfreundeten und uns das Innere dieser Alpenhäuser ansahen. Der einzige Raum war alles in einem. Er war primitiv, aber sauber und ordentlich. In einem dieser Häuser erkundigten wir uns nach der Kitzhütte. Bald sahen wir sie auch schon und rannten darauf zu, denn jeder wollte der Erste sein. Wir besichtigten sie von Innen, aber es war alles dunkel, denn die Luken konnten wir nicht öffnen. Nur aus dem höchsten Fenster hatten wir einen herrlichen Ausblick. Uns gegenüber, nur durch ein Tal getrennt, lag der Gamstein. In der Ferne sahen wir den mit Schnee bedeckten Großglockner, die Steirischen Alpen und das Salzkammergut. In der näheren Umgebung fanden wir viele Pilze, die wir in mitgebrachte Körbe und Beutel sammelten. Um 4 Uhr begann der Abstieg und ich lief mit einigen Kameraden voraus. Da wir des Weges unkundig waren, verfehlten wir den Weg. Plötzlich konnten wir nicht weiter, denn vor uns war Dorn und rechts und links nichts als Dorn. Was nun? Da hörten wir in einiger Entfernung Pfiffe der Unsrigen. Durch dick und dünn liefen wir. Als wir die Kameraden erreichten, bemerkten wir, dass uns die Arme und Beine schmerzten, denn sie waren verschrammt und zerrissen. Um 5 Uhr waren wir im Lager wieder angekommen. Wir Ausreißer waren noch einmal so müde wie alle anderen und sehnten den Augenblick der Bettruhe herbei. Die Pilzsuppe schmeckte uns am andren Tage sehr gut.

Eine Bergbesteigung

Nun waren wir schon bald 3 ½ Monate in Hollenstein, und hatten noch keinen Berg bestiegen. Der Königsberg war für uns noch nicht der Inbegriff eines Berges gewesen. Wir beschlossen daher, einmal die Voralpe, einen etwa 2000m hohen Berg zu besteigen. Am Abend vorher hatten wir uns die Füße mit Hirschtalg eingerieben, damit wir keine Blasen bekommen möchten.
Morgens um 5 Uhr wurden wir schon geweckt. Nachdem wir Kaffee getrunken und uns mit Proviant und Stöcken ausgerüstet hatten, begann um 6,15 der Abmarsch vom Lager. In knapp einer Stunde hatten wir den Fuß des Berges erreicht. Zuerst führte der in Serpentinen verlaufende Weg durch Buchenwald. Bald lagen umgestürzte Bäume und Felsen auf unserem Weg, es sah fast so aus, als ob wir uns im Urwald befänden. Je höher wir kamen, umso mehr verschwanden die Buchen und riesige Tannen begleiteten uns. Zum Gipfel hin verkrüppelten diese wegen der kalten Witterung dort oben und wegen des Windes. Latschen wurden sie genannt. Plötzlich war alles grau umher, wir waren in die Wolkendecke geraten. Nachdem wir 5 Minuten im Nebel gestiegen waren, sahen wir unter uns ein herrliches weißes Wolkenmeer, aus dem die Berggipfel wie Inseln hervorragten. Bald trat der nackte Felsen zutage, und nach 5 Stunden war der Aufstieg beendet.

Ich ging dann mit einigen Kameraden, nachdem wir uns ausgeruht hatten, nach einem benachbarten Gipfel dieses Berges. Wie ließen uns an einem 20 Meter langem Seil auf eine Schutthalde herab, durchkrochen eine Felsöffnung und kletterten dann eine schräge Wand herauf. Nachdem wir ein kleines Stück Weide passiert hatten, kamen wir zu dem Gipfel, auf dem die Grenzen der Länder Oberdonau, Niederdonau und Steiermark sich berührten. Wir suchten Enzian und Edelweiß, konnten aber nichts finden; die Stellen, wo sie wachsen, werden auch von den Gebirglern geheim gehalten. Dann gingen wir wieder einen bequemeren Weg zu unseren Kameraden zurück. Nun gingen auch noch diese zum anderen Gipfel. Von der Voralpe hatten wir einen herrlichen Ausblick auf das gesamte Alpengebiet mit dem Salzkammergut, den Steirischen Alpen und die Hohen Tauern mit dem Großglockner. Nur allzu früh mußten wir den Abstieg antreten. Abwechseln liefen wir, und dann mußten wir auf die letzten Kameraden wieder warten. Als wir fast den Fuß des Berges erreicht hatten, trat ein Junge in ein Nest von wilden Bienen. Sie schwirrten aufgeregt umher und stachen viele. Einer erhielt sogar 11 Stiche. Gleich nach der Ankunft im Lager gingen wir zum Baden, um uns vom Staub zu reinigen. Dann aßen wir riesige Portionen, und wir schmissen uns alsbald müde ins Bett.

Der Gamstein

Schon einige Wochen später bestiegen wir den Gamstein, den zweithöchsten Bereg in der Umgebung. Morgens um 6 Uhr traten wir nach den üblichen Vorbereitungen den Marsch an. Er führte uns durch das schöne Hammerbachtal zur Seeau, zum Gamstein. Ein nur im Winter und Frühjahr benutztes Flußbett diente uns zunächst als Weg. Aber bald ging es über Almen und durch Wälder weiter zum Kamm, einem schmalen Bergpfad entlang. Plötzlich sahen wir vor uns in einer Mulde ein Rudel Gemse. Im Nu waren sie verschwunden, kaum hatten wir sie gesehen. Aber nachher sahen wir noch viele dieser scheuen Bergtiere. Am Abhang des Berges sahen wir auf einer spitzen Nadel eine Gemse stehen. Auf dem Kamm machten wir eine halbe Stunde Rast, um dann eine herrliche Kammwanderung anzutreten. Rechts und links fiel der Berg steil ab. Wir konnten ordentlich schwindlig dabei werden, besonders, wenn am Berg dicht unter uns eine Wolke vorbeizog. Sonst hatten wir aber eine herrliche Aussicht wieder auf das gesamte Alpengebiet. Am Fuße des Berges floß die Salzach, ein Nebenfluß der Enns dahin. In der Ferne lag wie Spielzeug unser Hollenstein. Auch sahen wir noch einmal ein Rudel Gemse von 25 Stück, wie es wohl selten in so großer Zahl vorkommt. Um 5 Uhr begann leider wieder der Abstieg, und nach 2 Stunden waren alle heil wieder im Lager.

So verlief die Zeit mit Fahrten, Wanderungen und Bergbesteigungen dahin, doch noch ein richtiges Gebirgsgewitter hat uns einmal beim Baden überrascht, und davon will ich nun berichten.

Ein Unwetter

Es war an einem schönen Sommertag. Heiß brannte die Sonne vom Himmel. So suchte ich mit einigen Kameraden Abkühlung im kalten Wasser der Ybbs. Wir hatten gerade gebadet und uns wieder abgetrocknet, als plötzlich ein kräftiger Wind einsetzte. Dieser dehnte sich allmählich zum Sturm aus. Viel Sand und Staub wurde aufgewirbelt und drang uns in die Augen. Wir ahnten schon nichts Gutes. Schnell kleideten wir uns an, und bald sahen wir auch schon, wie eine schwarze Wolkendecke sich ganz niedrig durch das Tal schob. So schnell wie unsere Beine uns tragen konnten, rannten wir nach Hause, um im Lager Schutz zu suchen. Unterwegs erhielten wir schon den ersten Regen, so dass wir durchnaß in unserem Heim ankamen. Jetzt fing es auch schon an zu donnern und zu blitzen. Fast so dunkel wir die Nacht war es geworden, und damit fing es nun erst richtig an zu regnen, wolkenbruchartig kam das Wasser vom Himmel. Petrus schien alle Schleusen geöffnet zu haben. Reißende Bäche entstanden in den Straßen. Unruhig zuckten die Blitze vom Himmel, und der Donner hallte ununterbrochen ganz dumpf klingend an den Bergwänden wieder. Ganz unheimlich war uns allen zu Mute. Zum Überfluß fing es auch noch an zu hageln. Die Eisstücke hatte die Größe einer Haselnuß. Im Nu war die Erde weiß. Es trommelte an den Fensterscheiben und klatschte auf den Wegen und Dächern, dazu heulte der Wind in den Telefondrähten und pfiff und fauchte in den Baumkronen, daß die Äste knarrten und ächzten, als wenn sie brechen wollten.

Allmählich wurde es wieder etwas heller und der Hagel verwandelte sich dann auch wieder in Regen. Plötzlich war der Regen gekommen, und genau so plötzlich hörte er bald auch wieder auf, so daß die Sonne wieder so warm wie vorher in das Tal hinab schien, nur die Luft war reiner und frischer geworden. Mit einem eisigen Grauen sahen wir die schwarze Bank im Tal weiter ziehen, um anderen Leuten das gleiche Unheil zu bringen, denn die Hagelschicht lag teilweise bis zu 30 cm dick. Am nächsten Tag wurde unsere Annahme bestätigt, denn Leute aus der Umgebung kamen ins Dorf und berichteten, daß teilweise bis zu 90 % der Ernste zerstört sei.

Wenn wir in Hollenstein, das uns zur zweiten Heimat geworden war, mit unserer Lagerleiterin Frl. Böge, die uns eine stets umsorgende Mutter war, auch viel erlebt und bewundert haben, so waren doch alle froh, als es endlich hieß, in einigen Tagen fahren wir zurück nach Schleswig. Doch diese Monate in der KLV in Österreich werden wohl zu den schönsten Zeiten meiner Jugend gehören, und nie werde ich die herrlichen Wanderungen, nie die Abende, an denen Herr Schöllnhammer uns aus seinem Leben erzählte oder zur Laute sang, nie werde ich die Kameradschaft, die durch Sport und Spiel gepflegt wurde, vergessen, denn eine KLV-Zeit wird mir wohl nie wieder im Leben beschieden sein. Doch daß uns die Zeit vom 31. 5 1943 bis zum 6. 11. 1943 in steter Erinnerung bleiben wird, dafür hat nicht zuletzt Frl. Böge, Herr Schöllnhammer und seine Tochter Frl. Schöllnhammer, die bei uns als Wirtschaftsleiterin tätig war, gesorgt, denn sie gestalteten uns den Aufenthalt im schönen Donalande so angenehm und abwechslungsreich wie nur irgend möglich. Ihnen sei für alles Gute an dieser Stelle nochmals gedankt."€

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